Once upon a time I was falling in love …
… but now I’m only falling apart, there’s nothing I can do, a total eclipse of the heart (aus „Total eclipse of the heart“ v. Bonnie Tyler)
Nein, so schlimm ist es nicht, die Liebe für den einzig wahren Rasenballsport glüht noch immer. Aber etwas Wehmut kommt ob der aktuellen Situation auf.
„Kaum gibt es ein paar sieglose Spiele am Stück, schon jammern die Erfolgsfans“
Nein, liebe Nicht-RB-Fans, die sportliche Situation bereitet mir und uns allen keine Kopfschmerzen. Während dem Spiel ärgern wir uns, verfluchen unsere Schwäche bei Standardsituationen und vieles mehr, aber wir sind vor allem eines: dankbar, dass wir überhaupt in diesen Sphären spielen dürfen. Der sportliche Aufstieg ging schnell, möglicherweise an manchen Stellen zu schnell, da sind Rückschläge zwingend.
Nein, sportlich läuft es gefühlt eigentlich noch viel zu gut. Was mir wirklich Kopf- und Bauschmerzen bereitet, ist die Entwicklung der Fanszene.
„Beim Marsch durch die Institutionen wird man zum Arsch durch die Institutionen“ (Das „Känguru“ nach Marc-Uwe Kling)
Es war eine Utopie: in einer Stadt mit mehreren Vereinen, die aus unterschiedlichen Gründen, meist sportlichen oder betriebswirtschaftlichen Fehlern, an der Etablierung im Profifußball gescheitert sind, deren Fanszenen als problematisch, politisch radikalisiert und auf die Vereinspolitik bestimmenden Einfluss nehmend galten, wollte man ein Gegenmodell errichten:
- ein Investor wollte Geld einbringen, um die betriebswirtschaftliche Seite anzukurbeln
- ein Verein wurde konstruiert, dessen Aufbau sicherstellen sollte, dass wirtschaftsfremde Erwägungen die Entscheidungsprozesse nicht beeinflussen
- Fußballanhänger kamen zusammen und schlossen sich zusammen, weil sie Lust auf aufstrebenden Fußball und Stimmung ohne politische Instrumentalisierung hatten
Eine etwas überschlägige Betrachtungsweise zugegebenermaßen. Aber am Anfang stand ein spannendes Projekt, das zunächst eine kleine, später größer werdende Gruppe Fußballbegeisterter anzog. Der neue Verein wurde für die Platzhirsche und deren Fanszenen zum Feindbild, die Fans Ziel von Beleidigungen und Schmähungen. Die Reaktion darauf war wunderbarerweise nicht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, selbst zu beleidigen, Fans anderer Vereine aufzulauern und eine Abreibung zu verpassen, sondern das Herausbilden der wunderbaren Fähigkeit, solche Schmähungen an sich abperlen zu lassen und ein selbstironisches Selbstverständnis zu entwickeln.
Die Gästekurve singt „Bullenschweine“, wir stimmen mit ein: „Bullenschweine“. Entwaffnende Ehrlichkeit. Wir haben uns mit dem angeblich größten Sündenfall der deutschen Fußballgeschichte eingelassen? So what! Wir stehen dazu. Aus diesem Selbstverständnis heraus erwuchs auch DER Fangesang, der wie kein zweiter dieses Selbstverständnis auszudrücken vermag:
„Wir sind Schweine,
Rote-Bullen-Schweine,
wir zahlen keinen Eintritt
und trinken Champagner statt Bier“
Der wichtigste RBL-Podcast trägt passenderweise noch immer den Namen „Champagner statt Bier“. Nirgendwo drückt sich besser aus, dass wir über uns selbst lachen können und uns selbst nicht zu wichtig nehmen müssen.
Warum ich RB-Fan geworden bin, hat viele Gründe. Der greifbarste war jedoch sicherlich, dieses Lied zum ersten Mal nicht nur am Fernseher zu hören, sondern im Fanblock selbst mitzusingen. Bei den Schwabenballisten habe ich viele Weggefährten getroffen, die ähnlich ticken und diese Selbstironie teilen und lieben.
Ein paar Jahre später hören wir dieses Lied, das für mich Teil der Fan-DNA ist, fast überhaupt nicht mehr. Das hat Gründe und ist Symptom und Ursache zugleich: Innerhalb einer Fanszene bilden sich stets unterschiedliche Strömungen heraus. Das ist wichtig, denn insbesondere für den aufstrebenden Verein ist es wichtig, dass eine wachsende Zahl an Fans sich so tief identifiziert, dass man die immer weiter werdenden Auswärtsfahrten mitmacht. Früher war es Bautzen, später Freiburg, heute Porto oder Neapel. Ein harter Kern bildet sich heraus, der auch beim Anheizen der Stimmung vorangeht. Soweit – so gut!
Je größer und bedeutender ein Verein wird, desto größer ist aber die Attraktivität für Zuschauer, die den ursprünglichen Ideen nichts abgewinnen können oder gar konträr gegenüberstehen:
- Der Wunsch Einfluss auf die Entscheidungen des Vereins zu nehmen wird größer
- Politische Auseinandersetzungen werden stärker thematisiert
- Der Vergleich mit anderen Fanszenen wird gesucht
Der entstehende Konflikt mit den übrigen Fans ist nicht neu. Diskussionen über das langweilige „Lipsia“-Lied, dass von den Capos und einigen RB-Ultras heiß geliebt wird und so einschläfernd ist, dass ich meine Tochter damit perfekt in den Schlaf singen kann, gibt es schon seit Ewigkeiten. Aber während in den Vorjahren ein gewisses Maß an Abwechslung geherrscht hat, stellte sich mir bei den diesjährigen Stadionbesuchen (abgesehen vom großartigen Dorfmerkingen-Spiel) das Gefühl ein, dass die breite Masse im Stadion nicht mitgenommen werden soll und aktivierende Lieder wie „Wir sind Schweine“ komplett aus dem Kanon gestrichen werden.
Warum ist das so? Ich meine, es liegt am Selbstverständnis, dass die aufkeimenden RB-Ultras sich nicht mehr selbstironisch und mit einer gewissen kritischen Distanz zum eigenen Fandasein mit der Sache auseinandersetzen, sondern
a) den Support bzw. die eigene Sicht des Supports extrem ernst und wichtig nehmen
b) nach Anerkennung durch andere Fanszenen heischen.
Festzumachen ist dies jüngst am Zankapfel der Montagsspiele. Vorab: wir sind bei den Schwabenballisten unisono der Auffassung, dass die Einführung der Montagsspiele in der Bundesliga Quatsch ist und der Nutzen zum verursachten Schaden in keinem angemessenen Verhältnis steht. Die Frage ist: wie geht man mit der Frage um? Eine Fangruppe bei RB wollte sich dem Protest der übrigen Fanszenen, deren übrige Begehren sich im Wesentlichen gegen die Existenz von Rasenballsport Leipzig und seiner Anhänger richten, anschließen und rief einen 12-minütigen Stimmungsboykott für das Spiel gegen den HSV aus. Das Thema wurde kontrovers diskutiert, im Fanverband sprach sich eine Mehrheit gegen den Stimmungsboykott aus. Teile der aktiven Fanszene riefen dennoch dazu auf, sich an dem Stimmungsboykott zu beteiligen. Soweit kein Problem, im Stadion muss jeder wissen, wann er anfeuern will und wann nicht. Ich halte von solchen Boykotten nichts. Ich will Fußball schauen und mein Team (welches für die Ansetzungen nichts kann) unterstützen.
Problematisch wird es, wenn begonnen wird, diejenigen, die sich gegen den Stimmungsboykott ausgesprochen haben, im Stadion anzufeinden. Die ReBellen2.0 haben dazu „Erfahrungsberichte“ gepostet, auf die ich insoweit verweisen möchte.
Der Aktionismus geht weiter: die Rasenballisten boykottieren das Montagsspiel in Frankfurt. Man darf gespannt sein, ob diejenigen, die trotz Boykott in Frankfurt weilen, geteert und gefedert werden. Es soll jeder entscheiden, wann und wo er hinfährt. Ich kann jeden verstehen, der sich ein Spiel am Montag Abend nicht antun kann und/oder will. Aber ich möchte nicht, dass unsere Fanszene ihre Wurzeln vergisst und auseinanderbricht, nur weil sich einige aktive Fans Anerkennung bei Ultras sogenannter „Traditionsvereine“ erarbeiten wollen, die sie als Fans von Rasenballsport Leipzig ohnehin nie bekommen werden.
Genausowenig brauchen wir die andere Tendenz, dass sich rechtsgerichtete Fans in der Fanszene breit machen und mit „Erfahrungen in anderen Ostkurven“ (was auch immer das für eine Auszeichnung sein soll) prahlen und sich als prügelnde Vorhut als Beschützer der RB-Fans aufspielt.
Ich glaube, dass sowohl wir als Schwabenballisten intern eine andere Vorstellung von Fankultur haben als auch die große schweigende Mehrheit der RB-Fans. Es wird Zeit, dass wir dafür aufstehen, was unsere Fanszene besonders gemacht hat. Es mag sein, dass das „Konstrukt“ Rasenballsport auch anderswo hätte konstruiert werden können, ich will allerdings keinesfalls Teil einer austauschbaren Ultrakultur werden, sondern unsere originäre Fan-DNA behalten.
In dem Sinne TREUKOTT für eine selbstironische Fankurve!
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