Pro und Contra: Bringt Marco Rose dauerhaften Erfolg?
PRO: „Ein Leipziger Jung mit Stallgeruch“ (von Hütchen-Uli)
Der verlorene Sohn kehrt heim. Mit Marco Rose kommt ein Trainer, der das Gesamtpaket abbildet, das RB Leipzig für den „nächsten Schritt“ benötigt: Erfahren, sozial kompetent und mit Stallgeruch, ein Mann aus Leipzig für Leipzig, der mit Max Eberl die Chance hat, die Rasenballsportler in eine neue Ära zu führen.
Domenico Tedesco hat sportlich nach der katastrophalen Hinrunde 21/22 viel bewegt und dem Verein den ersten Titel beschert – ein Umstand, an dem Rangnick, Nagelsmann und Co. gescheitert sind. Menschlich ist Tedesco in Leipzig allerdings nie angekommen: sowohl zu den Fans (siehe „Stimmungskritik“ und Loblied auf die „Traditionsvereine“) pflegte er ein distanziertes Verhältnis wie auch in der Mannschaft kam er nie in der Breite an. Mit Marco Rose wird ein neuer Wind einziehen: er kommt aus Leipzig und baut dort aktuell auch für seine Familie ein dauerhaftes Heim, er identifiziert sich mit der Stadt und seinen Menschen. Er stellt sich vor seine Mannschaft und ist in der Lage, eine Gruppe orchestrieren.
Gerade seine Zeit bei Borussia Mönchengladbach hat gezeigt, wo der Weg mit einem Trainer Marco Rose hingehen kann: die Mannschaft trat als geschlossene Einheit auf und war mehr als die Summe seiner Einzelspieler. Im ersten Jahr erreichte er mit nur einem Punkt Rückstand auf die von Nagelsmann trainierten Rasenballsportler Rang 4 und damit die Champions League. Auch im Folgejahr spielte die Borussia furios. Der Erfolg blieb erst aus, nachdem Roses Wechsel zu Borussia Dortmund spruchreif wurde und er als „Lame Duck“ in ein ähnliches Loch fiel wie Nagelsmann, nachdem sein Abgang zu Bayern feststand.
Marco Rose hat gezeigt, dass seine Teams schnörkellos auf hohem technischen Niveau spielen können, er hat aus Spielern wie Plea, Thuram und Embolo das Beste herausgeholt und ihre Stärken auch im Kombinationsspiel zur Geltung gebracht, er fand auch im Ballbesitz gute Lösungen und betrachtet Ballbesitz nicht als Selbstzweck. Gepaart mit gut koordiniertem Gegenpressing findet sich in Roses Spiel die viel beschworene „RB-DNA“ wieder: kein Wunder, schließlich war er bei Red Bull Salzburg nicht nur mehrere Jahre Jugendtrainer (gekrönt vom Gewinn der UEFA-Youth-League), sondern auch zwei Jahre Cheftrainer und entwickelte die Spieler in dieser Zeit merklich weiter. Noch heute wird in Salzburg über Rose (im Gegensatz zu Marsch) in höchsten Tönen gesprochen.
Als Ex-Profi ist er nah an den Spielern und nicht zu „verkopft“, ohne dabei ins Gegenteil zu verfallen: er findet die Balance zwischen klassischem Fußball und modernen Konzeptionen. In Zusammenarbeit mit Max Eberl, mit dem er bei Mönchengladbach eng zusammengearbeitet hat, kann er auch die Unwuchten im RB-Kader mittelfristig beheben. Während die sportliche Leitung von RB in diesem Sommer Transfers teilweise über den Kopf von Tedesco hinweg aus kaufmännischen Erwägungen durchgezogen hat, darf erwartet werden, dass die Abstimmung und Zielrichtung von Rose und Eberl aufeinander abgestimmt sind. So wird diese Verpflichtung mit guter Wahrscheinlichkeit kein Stückwerk bleiben, sondern Grundlage für eine gute mittelfristige Entwicklung, an deren Ende wieder erkennbar sein wird, für welchen Fußball Rasenballsport Leipzig steht.
CONTRA: „Romantik löst die Probleme nicht“ (von Fauler Zauber)
Marco Rose ist ein guter Trainer, er kennt das Umfeld und auch den „Red Bull Konzern“, bei Red Bull Salzburg hat er zwei Jahre hervorragende Arbeit geleistet und überzeugte auch in Gladbach 1 1/2 Jahre bis zur Ankündigung seines Dortmund-Wechsels. Trotzdem ist er der falsche Trainer, um RB Leipzig mittelfristig auf Kurs zu bringen, der Verein braucht vielmehr einen „Nagelsmann 2.0“.
Kurzfristig ist Marco Rose zuzutrauen, das schlingernde Schiff der Rasenballsportler wieder auf Kurs zu bekommen. Der Kader des amtierenden Pokalsiegers mag in diesem Transfersommer „Unwuchten“ bekommen haben, trotzdem steht dem Übungsleiter ein Spielerreservoir mit viel individueller Qualität und ausreichend taktischen Möglichkeiten zur Verfügung. Die sportliche Talfahrt resultiert nicht aus mangelnder Aufstellung oder gar Qualität, sondern ist mental bedingt. Die Spieler bringen ihre Fähigkeiten nicht auf den Platz. Woran es liegt, ist von außen nicht zu beurteilen, es spricht aber viel für Defizite im zwischenmenschlichen oder kommunikativen Bereich zwischen Trainer und Mannschaft. Diese Blockade könnte Marco Rose sicher schnell lösen. Zudem wäre die Zusammenarbeit mit dem designierten neuen Sportvorstand, Max Eberl, fruchtbar.
Mir fehlt jedoch die Phantasie, wie Rose die mittelfristige Entwicklung positiv gestalten soll. Seine Befürworter führen an, dass Rose „Stallgeruch“ habe und in Salzburg (und phasenweise bei Gladbach) ein formidables Pressingsystem gespielt habe, das die „RB-DNA“ zurückbringe. Dieser romantisierende Wunsch erinnert an die Erwartungen, die die Verpflichtung von Jesse Marsch bei seinen Anhängern ausgelöst hat. Die Realität holte sie schnell ein, was zum einen an der Starrsinnigkeit und Eindimensionalität Marschs gelegen haben mag, zum anderen aber auch an der Tatsache, dass der RB-Kader sowohl alterstechnisch als auch von der Zusammensetzung der Spielertypen diesem Fußballansatz entwachsen ist. Auch ein Spitzenteam mit Edeltechnikern kann situativ ein gutes Gegenpressing spielen (siehe die Teams von Pep Guardiola), es setzt trotzdem voraus, dass das Team im Übrigen in Ballbesitz Lösungen entwickeln kann. RBL hat hierzu die Spieler und im zweiten Jahr unter Nagelsmann hierzu exzellente Ansätze entwickelt. Wirklich erfolgsversprechend – so man dauerhaft im Konzert der Großen Europas mitspielen will – ist der Ausbau dieser Qualitäten.
In seinen bisherigen Stationen hat Marco Rose es nicht vermocht, diese Qualitäten zur Geltung zu bringen. Insbesondere mit dem vergleichbar spielstarken Kader von Borussia Dortmund schaffte es Rose nicht, das spielerische Potenzial dauerhaft auf den Platz zu bringen und jenseits der individuellen Qualitäten von Erling Haaland und Co. zu überzeugen. Viel wesentlicher ist zudem, dass er weder in Gladbach noch in Dortmund in der Lage war, die richtige Balance zwischen Offensivspiel und defensiver Stabilität zu finden, was sich in extrem hohen Gegentorzahlen in den letzten zwei Jahren widerspiegelte. Diese Balance zu finden, dürfte jedoch der Schlüssel zu einer erfolgreichen Entwicklung bei RB Leipzig sein.
Fraglich ist auch, ob Rose dauerhaft mit Spielern arbeiten kann, die sich selbst als „Stars“ sehen. Bei Borussia Dortmund ist er auch an der Führung einer solchen Mannschaft gescheitert und muss in Leipzig daraus die richtigen Schlüsse ziehen in Anbetracht des Aufgebotes in der RB-Offensive. Sollte Rose an dieser Aufgabe scheitern, könnte er nicht nur seine Position beschädigen, sondern auch die des langfristigen RB-Hoffnungsträgers Max Eberl, der als Vertrauter Roses gilt und auf den ein Misserfolg auch dann abfärben dürfte, wenn er am Auswahlprozess noch gar nicht beteiligt gewesen sein sollte.
Last but not least stehen Rose mit Zickler, Geideck und Kurth keine starken Co-Trainer zur Seite, sondern maximal solide Helfer. Roses „Mastermind“ aus früheren Zeiten, der Taktikexperte Rene Maric, ist inzwischen in Leeds, wo er bei Jesse Marsch dessen Leerstelle aus Leipziger Zeiten (taktische Tiefe) beheben soll.
Die Rasenballsportler haben die Chance vertan mit Thomas Tuchel (und Co-Trainer Zsolt Löw) einen verfügbaren Trainer zu verpflichten, der die von Nagelsmann angeschobene Entwicklung wieder hätte aufgreifen können und der in mehreren Stationen beim BVB, PSG und Chelsea gezeigt hat, dass er defensive Stabilität etablieren und trotzdem Kreativspieler einbinden kann. Durch seine Erfolge hätte er ein Standing vorzuweisen, das ihn für die Mannschaft schwer angreifbar gemacht hätte. Die jetzige Verpflichtung wird die vorhandenen Probleme überdecken und nicht lösen.