Zeit, Farbe zu bekennen
„I dream the rain will cease
I dream the clouds will pass
I dream the pain will ease
I dream that my dream comes fast
I dream shadows have light
I dream for peace tonight
and I dream of an end of war –
have you dreamt this dream before“
(aus „Gold“ von East 17)
RB Leipzig und Politik: kein neues Thema, ich habe es bereits 2018 im Blog „Keine Politik im Stadion“ behandelt. Damals war die Positionierung zu Rassismus und Rechtsextremismus Thema. Die Kritik hat sich der Verein Rasenballsport Leipzig offenbar zu Herzen genommen, in den letzten drei Jahren machte der Verein deutlich, dass für Rassismus und Diskriminierung aufgrund Ethnie, Herkunft, Religion und sexueller Orientierung kein Platz sein soll. Lobenswert ist, dass die Social Media-Abteilung diese Botschaften auch in professioneller Weise an den Mann bzw. die Frau bringt.
Dass es mit der Umsetzung im Alltag nicht immer einfach ist, zeigte der sehr „unglückliche“ Umgang mit asiatischen Zuschauern zu Beginn der COVID-19-Pandemie in der Red Bull-Arena. Wir wollen aber an dieser Stelle nicht in alten Wunden stochern. Der Verein hat zumindest eine positive Sensibilisierung entwickelt.
Am 24.2.2022 erlebten wir die „Zeitenwende“, wie es Bundeskanzler Scholz in seiner heutigen Regierungserklärung beschrieb. Truppen der russischen Föderation starteten im Rahmen eines Angriffskrieges eine Invasion der Ukraine, um eigene geostrategische Interessen zu verfolgen – oder deutlicher gesagt: um nationalistischen-imperialistischen Großmachtsphantasien zu frönen. Es stellt einen epochalen Bruch der europäischen Friedensordnung dar, eine Aggression, die wenige in diesem Umfang für möglich gehalten hätten.
Niemand möchte Krieg, auch der Aggressor nicht, der selbst von einer „begrenzten militärischen Aktion in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk“ spricht. Sich gegen Krieg auszusprechen, ist einfach. Für Frieden zu werben entsprechend ebenfalls. Ein Statement wie „Wir sind gegen jede Art von Gewalt und Krieg“ bedarf keines Mutes, den Satz wird jeder unterschreiben, es tut niemandem weh.
Das Statement von RB Leipzig lässt zwar Empathie für die angegriffene Ukraine erkennen und hebt die Erfahrungen mit der Ukraine hervor, bewertet den „Konflikt“ als solchen jedoch nicht. Das wäre in Ordnung, wenn es sich um einen militärischen Konflikt handeln würde, zu dem sich beide Seiten zumindest annähernd gleichwertig aufgeschaukelt haben. Ein Fußballverein muss in solchen Fällen nicht Partei ergreifen, sondern verweist zurecht auf die friedensstiftende Wirkung des Sports.
Im vorliegenden Konflikt ist das Statement hingegen unangemessen, da Krieg als „in jeder Form inakzeptabel“ die Landesverteidigung der Ukrainer mit der – offensichtlich durch nichts gerechtfertigten – Invasion Russlands gleichsetzt. In einem derart eindeutigen Fall ist nicht Partei zu ergreifen nicht nur feige, sondern dient dem Aggressor. Die Wahrheit liegt nicht immer in der Mitte – auch hier nicht.
Glücklicherweise hat sich ein anderer Profiverein derart mit seinem Statement verrannt, dass sich das Statement von RB Leipzig noch positiv abzuheben scheint. Der 1.FC Heidenheim, dessen Quasi-Eigentümer „Voith“ und „Hartmann“ offenbar ungestört weiter Geschäfte in der russischen Föderation machen möchten, ließen sich zu diesem peinlichen Statement hinreißen:
Ich weiß nicht, ob ich jemals fassungsloser war als nach der Lektüre des Heidenheimer Statements. Weder sportlich noch gesellschaftlich sollte der FCH Maßstab für die Rasenballsportler sein. Andere Vereine schafften deutlichere Botschaften, Eintracht Frankfurt ließ zum Beispiel prominent auf der Anzeigetafel „Stop it, Putin“ vermelden. Ein schönes Beispiel für ein ausführliches und gelungenes Statement ist das des Basketball-Zweitligisten Wiha Panthers Schwenningen, der gemeinsam mit dem Gastteam Rasta Vechta vor dem Spiel zur Schweigeminute folgenden Text an den Mann bzw. die Frau brachte:
Beide Teams zeigten vor dem Spiel Zettel mit der Aufschrift „No war“, um das Statement zu unterstreichen:
Bei der Partie VfL Bochum gegen RB Leipzig wartete man vergeblich auf ein vergleichbares Statement. Der Vorgang wurde als „Business as usual“ abgehandelt und eine Chance verpasst, Haltung zu zeigen.
Da es sich auch andere Sportvereine mit wenig aussagekräftigen Statements bequem gemacht haben, wäre all das eine Randnotiz geblieben und hätte vermutlich keinen Blogbeitrag nötig gemacht. Das Schicksal wollte es am vergangenen Freitag jedoch so, dass den Rasenballsportlern im Achtelfinale der „Europa League“ der verbliebene russische Vertreter Spartak Moskau zugelost wurde und Leipzig damit die unbequeme Aufgabe zuteil wurde, sich der Frage zu stellen, wie mit dem problematischen Los umzugehen ist. Kann man einem Verein sportlich eine Bühne bieten, dessen Land einen invasorischen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland führt?
Bei RB Leipzig einigte man sich auf die Sprachregelung „dumm gelaufen, wir nehmen es sportlich“:
Der Verein vermeidet weiter eine klare Ansage gegenüber Russland, spricht nur von einem „Konflikt“ und zieht im Übrigen den Kopf ein. Durch das Los steht RB Leipzig nunmehr im internationalen Focus und so stellt man sich in der Stadt von Auerbachs Keller einer neuen „Gretchenfrage“: „Sag mir, wie hältst Du es mit dem Duell mit dem russischen Bären?“
Man könnte es sich einfach machen und auf die Verpflichtungen aus den Verträgen mit der UEFA verweisen. Weigert sich RBL anzutreten, kommt Spartak kampflos weiter, RBL ist Moskau und der UEFA gegenüber schadensersatzpflichtig, es würde ferner eine Sperre für die kommenden Jahre drohen.
Dieser Positionierung gegenüber steht die Ansage des polnischen Fußballverbandes, der ankündigte, im Playoff zur WM-Qualifikation das Duell mit Russland zu verweigern, um Haltung zu zeigen. In der Folge zeigten sich auch weitere Teams solidarisch, unter anderem auch das schwedische Nationalteam um RB-Ikone Emil Forsberg. Das WM-Playoff-Duell ist keinesfalls minder bedeutsam als das K.O.-Rundenduell in der Europa League, sodass sich RB der Messlatte stellen sollte.
Fast reflexartig zog die Positionierung die klassischen Kritiker des „Projekts“ auf den Plan. Eine Diskussion mit Köster & Co. ist sicher müßig. Doch es gibt auch sachbezogene Kritik: die Leipziger Journalistin Grit Hartmann führte die Diskussion dezidiert mit mehreren RB-Fans auf Twitter:
Die wesentlichen Argumente: es sei zu einfach, sich hinter der UEFA und deren Geschäftsinteressen zu verstecken, es entbinde nicht davon, sich mit der Verantwortung auseinanderzusetzen, ob man einem russischen Verein in dieser Situation eine Bühne bieten dürfe. In anderen Sportarten (Jokerit Helsinki, KHL, Eishockey – Zielona Gora, VTB-League, Basketball, u.a.) hätten sich aus lukrativen Wettbewerben mit russischen Teams zurückgezogen.
Es ist müßig zu diskutieren, ob die finanziellen Konsequenzen vergleichbar sind, denn die Teams können weiter in ihren nationalen Ligen und im Europapokal antreten, jedoch ist der Eindruck „Klappe halten, um den wirtschaftlichen Erfolg nicht zu gefährden“ zu einfach und zu billig. Was RB Leipzig versäumt, ist die Fakten in Bezug auf den russischen Angriffskrieg klar zu benennen und deutlich zu machen, dass man eine weitere Teilnahme von Sportvereinen aus Aggressorstaaten entgegentritt.
Schließlich mutmaßt die Journalistin im Stile der „Kritiker“, Rasenballsport Leipzig vermeide eine klare Aussage, weil der Geldgeber (gemeint ist der hinter dem Eigentümer „Red Bull“ stehende Milliardär Dietrich Mateschitz) Sympathien für Putin (und dessen imperialistische Pläne) hege. In seinen Medien (gemeint ist vermutlich die Plattform „Der Pragmaticus“) habe er Putin bzw. seiner Weltsicht eine Plattform gegeben. Der interessierte Leser möge sich sein eigenes Urteil bilden, das Dossier von 5.12.2021 geht m.E. relativ hart mit Putins „gelenkter Demokratie“ ins Gericht. Nicht zu leugnen ist jedoch, dass Dietrich Mateschitz in den vergangenen Jahren mit im besten Fall „unglücklichen“, im schlimmsten Fall „rechtsextremen“ Äußerungen von sich Reden machte und sich der Verein gefallen lassen muss, damit konfrontiert zu werden.
Um es klar zu sagen: RB Leipzig ist nicht haftbar für private Äußerungen Mateschitz‘, jedoch steht ein Verein, der gesellschaftliche Verantwortung übernehmen will, in der Pflicht, keine Zweifel an seinem Leitbild aufkommen zu lassen.
Die Außenkommunikation lässt aktuell viele Auslegungen zu. Ich halte es im Ergebnis für falsch, dem Verein die Verantwortung für den Nichtantritt aufzubürden – zumindest solange sich nicht auch alle übrigen im Wettbewerb verbliebenen Vereine solidarisch erklären. Merke: Betis Sevilla hatte auch keine Skrupel das Playoff-Rückspiel gegen Zenit St. Petersburg zu bestreiten. Was ich allerdings erwarte, ist eine klare Positionierung, was Rasenballsport Leipzig von der UEFA erwartet und wie man zu der Teilnahme Spartak Moskaus steht.
Auch der Bundesregierung wurde Zögerlichkeit und Passivität vorgeworfen. In der heutigen Regierungserklärung haben die demokratischen Parteien Deutschlands das Heft des Handelns in die Hand genommen und gestalten aktiv (oder wie Oli Mintzlaff sagen würde: man sitzt wieder im „Driver Seat“). Lieber Rasenballsport Leipzig e.V. – es ist auch für Euch nicht zu spät, klare Kante zu zeigen und im Driver Seat Platz zu nehmen. Die schwierigen Zeiten sind Gelegenheit das Profil zu schärfen und Charakter zu zeigen. Nutzt die Chance!